39,90 oder: Hatte Frederique vielleicht doch recht?
Ein Plädoyer für Qualität nicht nur bei meinen Zweitaktern
Michelle Houellebecq, seines Zeichens französischer Skandalautor, dessen Werk, “Ausweitung der Elementarteilchen” (*ggg*) überall, nur nicht durch mich, kontrovers diskutiert wurde, ermutigte einen Bekannten namens Frederique Beigbeder, einen Roman über die Werbebranche als Insider zu schreiben.
Nun ja, Insiderromane können ja wirklich amüsant sein und sollen auch hier und da schon einmal, wenn auch nicht zum Umdenken, so doch wenigstens zu einem kritischen Blick auf das eigene, vielleicht sogar überdenkenswerte, Schaffen geführt haben.
Ich empfand den Roman als abschreckende Parabel über unser modernes menschliches Dasein, die Werbebranche verschrieh ihn als unrealistisch. Nun, da sich meine Tage in genau dieser Branche und dem Agentur-Leben dem Ende zu neigen (alle, die jetzt jubeln werde ich enttäuschen müssen, es sind wirklich nur die Tage meines Agentur-Lebens, sorry), kann ich wohl bestätigen, dass Beigbeder ein gar nicht so unrealistisches Bild gezeichnet hat. Natürlich sehr überspitzt. Aber nach der Erfahrung, trotz guter Auftragslage einer der 26 gekündigten Mitarbeiter zu sein, kann ich sagen, dass Hobbes mit seinem: “homo hominis lupus” und in seiner Folge Frederique in 39,90 durchaus recht hatte (um präzise zu sein, war es ein lateinischer Komödiendichter, der diesen wunderbaren Ausspruch in seiner Komödie “Asinaria” (Eseleien) das erste Mal verwendete).
Aber auch das ist halt keine wirklich neue Erkenntnis. Und jetzt komme ich, mit einer noch viel älteren, jedoch mindestens genauso aktuellen Erkenntnis um die Ecke. Die wäre: Qualität zahlt sich aus, meistens jedenfalls.
Wie ich darauf komme? Nun ja, ich verkaufe gerade mal wieder eines meiner Projekte. Es handelt sich um eine seltene, schnelle und hässliche Suzuki GT 250 X7, ein Zweizylinder-Zweitakt-Mopped Baujahr 1978.
Wie immer bei meinen Restaurationsprojekten habe ich viel Zeit und auch ein wenig Geld investiert. Vom Wissen über die Mysterien der Zwei Takte mal ganz abgesehen. Und dann kommt, was anscheinend immer kommen muss: die Angebote und Anfragen. Ich versuche ja immer freundlich zu sein und gebe jedem Interessenten, auch denen, die das Interesse nur vorheucheln, eine Antwort. Meist noch nicht einmal eine angemessene, sondern wirklich sehr oft eine freundliche. Die meisten Anfragen haben keine Anrede und bestehen nur aus einer Zahl und der Ankündigung irgendwas zu kaufen, gemeint ist dann anscheinend das von mir feil gebotene Motorrad. Die Angebote bewegen sich oftmals im unteren Drittel des von mir ausgeschriebenen Preises. Tja, was soll ich nun sagen?
Was entgegnet man solch dreisten Anfragen, die tatsächlich ernst gemeint sind? Auch hier bleibe ich höflich und verweise auf den von mir angesetzten Preis, den ich ja auch nicht einfach aus dem Lostopf gezogen habe, sondern der einer (jahrzehntelanger) Marktbeobachtung und einer, zugegeben, subjektiven Einschätzung des Zustands und Zuverlässigkeit des Motorrades meinerseits entspringt. Außerdem werden meine Motorräder von mir immer vor dem Verkauf auf ihre Alltagstauglichkeit getestet, sprich, die Dinger sind angemeldet und wurden mal ordentlich bewegt, um zu schauen, ob die auch was können. Ich verbessere die Bremsen, in dem ich Stahlflexleitungen verbaue, die Schwimmsättel wieder vernünftig gleiten lasse, ersetze die meisten Schrauben durch Innensechskantschrauben aus V2A-Stahl.
Als einer der ersten, aber auch zeitaufwendigsten Schritte, behandele ich die Rahmen innen mit einem Rostumwandler (Fertan) und danach mit Mike Sanders legendärem Korrosionsschutzfett. Das heißt im Umkehrschluss, dass alles passieren könnte, aber der Rahmen wird wohl definitiv NICHT durchfaulen. Glauben Sie mir: oft genug habe ich mich schon selbst gefragt, warum ich den ganzen Mist denn überhaupt tue. Ich meine, ich frage mich das sogar jedes Mal, wenn eine so dreiste und respektlose Anfrage reintrudelt. Lesen die Leute denn die Texte unter den Anzeigen nicht? Oder ist Ihnen schlichtweg egal, ob das Teil einen gewissen Wert hat?
Und so komme ich darauf, einmal bei mir selbst nachzuforschen, ob ich denn bereit bin, für Qualität Geld auszugeben. Als ich 14 Jahre alt war, wollte ich mir eine Uhr kaufen. Nicht irgendeine Uhr, sondern eine teure. Eine Uhr für mehr als 2000 DM. Ausgesucht hatte ich mir einen Klassiker von Rolex, die berühmte Oyster Perpetual aus meinem Geburtsjahr 1974. Meine Argumentation damals war recht simpel, greift aber den gleichen Gedanken zum Thema Qualität wieder auf: ich war 14, bei einer Lebenserwartung von geschätzt 79 Jahren würde ich also noch ca. 65 Jahre meines Lebens eine Uhr brauchen. 65 Jahre geteilt durch 2000 DM entspricht einer Investition von gerade einmal 30 DM pro Jahr. Und eine Uhr von Rolex hält bekanntermaßen länger als 65 Jahre, so dass meine Erben auch noch etwas davon haben würden (ich wusste bereits zu diesem Zeitpunkt, dass ich NIE eigene Kinder haben werde). Für mich klang das mehr als nur logisch, ich fand, die Argumentation war evident und ließ keinerlei Gegenwehr zu. Meine Eltern verboten es mir. Was wiederum klar war, irgendwie jedenfalls. Nur zur Klarstellung: ich wollte das Geld NICHT geliehen oder geschenkt bekommen, das Geld hatte ich auf meinem Sparbuch. Erwirtschaftet aus dem Verkauf meiner ersten Tanksäule.
Das Ende vom Lied war, dass ich zwar zur heiligen Erst-Kommunion und später auch zur Firmung immer mal wieder Uhren geschenkt bekam, jedoch nie auch nur eine davon getragen habe. Sehr zum Leidwesen meiner Eltern, die ja der Meinung waren, dass jeder Junge eine Uhr brauche, gerne auch eine Sony oder eine Seiko, jedoch halt keine “teure” Uhr.
Immerhin besitze ich heute eine Uhr. Ich trage sie zwar nur selten, aber wenn, dann mit einem Schmunzeln, denn es ist ein Erbstück meines 2012 verstorbenen Vaters. Das Einzige.
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